Wie alles anfing (2002)

Am 4. Juni 2002 wird die Kinder-Uni eröfnet. Der Bericht über die erste Vorlesung erscheint einen Tag später im Schwäbischen Tagblatt:
Wo die Schwarzen Raucher sitzen -
Hörsaal überfüllt, Professor super, Pisa widerlegt: 400 stürmten die erste Kinder-Uni-Vorlesung

TÜBINGEN. Das erleben Professoren nicht alle Tage: Dass der Hörsaal schon eine Viertelstunde vor Beginn der Vorlesung ratzevoll ist. Dass junge Menschen gebannt vor ihnen sitzen und ungeduldig darauf warten, ihre Fragen stellen zu können. Dass sie hinterher „super“ sagen. So war es gestern bei der ersten Vorlesung der von TAGBLATT und Uni gemeinsam veranstalteten „TübingerKinder-Universität“. Rund 400 junge Hörer/innen zwischen vier und zwölf Jahren stürmten den Hörsaal der Alten Anatomie, lauschten dem Mineralogen Gregor Markl, der die Vulkane erklärte — und taten vor geballtem Medien-Aufgebot alles, um die Pisa-Studie Lügen zu strafen.

Trotz Badewetter und Fußball: Der Ansturm übertraf alle Erwartungen, und eins steht deshalb schon fest: Die Kinder-Uni wird auf Dauer nicht in der Alten Anatomie stattfinden können. Die 300 Sitze dort reichten gestern bei weitem nicht aus, weshalb begleitende Erwachsene nachdrücklich hinauskomplimentiert wurden.

Zwar hatten die meisten Kinder über ihre Eltern aus der Zeitung von der Kinder-Uni erfahren — aber dass sie auf Druck bildungseifriger Mütter oder Väter erschienen wären, ließ sich keineswegs bestätigen. „Weil die Fragen mich interessieren“, begründete etwa der neunjährige Alexander aus der Winkelwiesenschule seine Teilnahme. Auch für Felicitas, zehn, Irene, neun, und Susann, acht, aus Pfrondorf stand schon vor Beginn fest, dass sie regelmäßige Studentinnen sein wollen. Vielleicht werden sie ja selbst mal Tierverhaltens-Forscherinnen, und besonders neugierig sind sie schon auf einen Vortrag zum Thema Schulpflicht. „Die finden wir nämlich eher doof.“

Aus einem Bilderbuch hatten die siebenjährige Sophie aus Rottenburg und ihr vierjähriger Bruder Christopher ihr Vorwissen über Vulkane. „Die Stadt mit den Römern, die da verschüttet wurde“, Pompeji also, kam dann auch in Prof. Markls Vortrag vor. „Wenn man schon mal die Gelegenheit hat, von einem Experten über Vulkane etwas zu erfahren, sollte man sie nützen“, sagte der elfjährige Feras aus dem Wildermuth-Gymnasium; seine Freundin Hannah aus der Scholl-Schule kam gleich mit.

Geradezu umschwärmt wurden die Kinder von zahlreichen Rundfunk-Reportern, „Spiegel“ und „Focus“ ließen fotografieren. Die Lampen von BTV und der „Landesschau“ machten die Luft im Raum noch heißer, als sie ohnehin schon war, dazu das lebhafte Gebrodel der Kinder — man konnte sich fast wie im Innern eines Vulkans vorkommen, als Prorektorin Barbara Scholkmann die Kinder-Uni endlich für eröffnet erklärte. Die TAGBLATT-Redakteure und Erfinder der Kinder-Uni, Ulla Steuernagel und Ulrich Janßen, sorgten dafür, dass es wie an einer richtigen Uni zugeht: Es gibt nämlich Studentenausweise (siehe Info), Teilnahmescheine — und zum Applaus wird auf die Bänke geklopft. Instant-Lernerfolg!

Schnell erraten wurde der rätselhafte Gegenstand, der sich auf dem Projektionstisch unter einem schwarzen Tuch befand: Nein, kein echter Vulkan, auch kein Mikroskop, sondern — so tippten die meisten — ein schwarzer Vulkanstein, mit dem Markl sehr gegenständlich zu seinem Thema hinführte. „Ihr glaubt, ich bin alt“, sagte der junge, locker in Jeans auftretende Professor. „Aber was wirklich uralt ist, das ist unsere Erde.“

Von Dias begleitet, erzählte er von der unglaublichen Hitze vor fünf Milliarden Jahren, von der Schönheit kleiner Lava-Fontänen auf den Liparischen Inseln, von den „Schwarzen Rauchern“, die am Boden der Ozeane Metalle spucken, von der vulkani-schen Wärme, mit der die Isländer ihre Gewächshäuser heizen, und von der Bedrohung, die von Vulkanen ausgeht — und vielem mehr.

Dass auch Diamanten von Vulkanen herausgeschleudert werden, nahm der zehnjährige Lukas aus Dörnach als neue Erkenntnis mit. Tamara und Maria aus Engstingen, beide elf, wollten dem Professor unbedingt noch von ihrer Klassenfahrt in die Vulkaneifel berichten. Der zeigte sich von seiner Erfahrung als erster Kinder-Dozent hoch angetan: „Schlechte Lüftung, aber gutes Klima — mir hat's wahnsinnig Spaß gemacht!“ Und: “400 Studenten wären nicht so ruhig.“

Wegen des riesigen Andrangs konnten die Kinder-Uni-Scheine gestern nicht verteilt werden. Scheine mit Stempeln darauf und Ausweise gibt es bei den nächsten Vorlesungen.

Von Ulrike Pfeil

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